Wel­ten

Die Welt ist voller Motive

Inter­view mit Johann Rosenboom

Man kann die Dinge auch anders denken. Als Johann Rosen­boom an diesem trüben, nebli­gen Nach­mit­tag zu mir zum Tee kommt, sagt er die Worte so oder so ähn­lich. Denn wäre das Wet­ter ein anderes, fre­undlich­er, heller, er würde vielle­icht andere Antworten auf meine Fra­gen geben, Augen bee­in­flussen die Seele. Johann Rosen­boom ist in dem kar­gen Ost­fries­land aufgewach­sen, er wollte Fein­mechaniker wer­den, und dann geschieht der erste Bruch in diesem so vorgeze­ich­neten Leben. Der junge Rosen­boom bricht aus, holt sein Fach­abitur nach und begin­nt zu studieren. Er will irgen­det­was mit Kun­st machen. Das Wort Künstler sagt Johann Rosen­boom nicht. Er sagt es heute noch nicht gern. Vielle­icht steckt zu viel Pathos darin, zu viel Größe. Dieser Künstler ist ein beschei­den­er, zurückhaltender Men­sch, der immer auch die richti­gen Worte sucht. Mit ihm unter­halte ich mich an diesem grauen Novem­bertag mit der Melan­cholie in der Luft: über seinen Weg, die Brüche darin und die Gewis­sheit­en in seinem Leben.

Du bist in der Nähe von Leer in Ost­fries­land geboren. Inwieweit hat dich dieser Land­strich geprägt?
Rosen­boom: Das ist eine sehr schöne Frage. Ich bin neben einem Bauern­haus mit einem großen Garten geboren. Ich war ein ganz klein­er Stepp­ke und bin durch diesen Garten gelaufen mit all diesen Blu­men, den Cos­meen und den Margeriten mit ihren weißen und roten Köpfen um mich herum. Ein klein­er Junge mit­ten in einem Far­ben­meer. Und die Men­schen, die hier wohn­ten – die meis­ten von ihnen waren arm –, haben ganz viel Freude aus diesen Far­ben gewon­nen. Es zogen ganz schöne Wolken vor­bei, und ich habe Tiere und Vögel am Him­mel gese­hen. Dazu all die Gerüche. Das war Ost­fries­land, das Land, in dem ich aufgewach­sen bin.

Kannst du dich an deine erste Begeg­nun­gen mit der Kun­st erin­nern? 
Rosen­boom: Mein Vater war Bin­nen­schif­fer, der war immer unter­wegs, und meine Mut­ter hat­te viel zu tun mit ihren drei Kindern. Da gab es keine Berührungen in diesem kru­den Leben. Aber ich hat­te einen Onkel aus Ham­burg, der oft zu uns kam. Ein Mann mit einem dif­feren­ziert­eren Welt­bild. Er wusste, wie die Plan­eten laufen, und er hat mich in die Ham­burg­er Kun­sthalle mitgenom­men, wo wir eine Ausstel­lung von Paula Mod­er­sohn- Beck­er besucht­en. Ich habe haupt­säch­lich expres­sion­is­tis­che Bilder gese­hen. Mein Onkel hat mir die Kun­st nahege­bracht, und auch Frau Valentin aus der Buch­hand­lung gab mir wichtige Impulse. Sie hat mir von Worp­swede erzählt und dem Moor. Damals hat­te ich schon meine Fein­mechaniker­lehre hin­ter mir und habe gewusst, dass das nicht mein Leben sein kann. Ich habe die mit­tlere Reife und das Abitur nachgemacht.

War das nicht ein spürbarer Bruch in deinem Leben? Ein­er, der dich fremd wer­den ließ? 
Rosen­boom: Es gab keinen Stre­it in meinem Eltern­haus, aber da war eine spürbare Ent­frem­dung zu allem, was ich vorher tat. Meine Eltern kon­nten nicht nachvol­lziehen, was ich mache, wonach ich mich sehne. Das war ein inner­er Auf­bruch von mir, mit der Gefahr zu scheit­ern. Auch Pfar­rer Stein­metz, zu dem ich inten­siv­en Kon­takt hat­te, hat mir dabei geholfen. Es gab schon einige Mut­mach­er in dieser schwieri­gen Zeit.

Hast du zu dieser Zeit schon gemalt?
Rosen­boom: Ja, bei uns auf dem Boden habe ich in einem Schrank die Bilder eines im Krieg gefal­l­enen Onkels gefun­den. Er hat ein­fach Naturge­gen­stände gemalt, das hat mich fasziniert. Bei schönem Wet­ter bin ich dann mit dem Rad raus­ge­fahren in die Natur und habe dilet­tan­tisch ver­sucht abzu­malen. Nach dem Fach­abitur bist du nach Kas­sel gekom­men, um an der Hochschule für Bildende Künste zu studieren. War das nicht eine gän­zlich neue Welt für dich? Rosen­boom: Es war Anfang der 70er Jahre, ich war ein Arbeit­erkind, das Kun­st studierte, und man wollte mich instru­men­tal­isieren, doch das habe ich nicht mit mir machen lassen. In der Aus­bil­dung zum Kun­sterzieher und den zwei Jahren Ref­er­en­dari­at habe ich keine Bestä­ti­gung gefun­den. Man hat uns kaum Kun­st gelehrt. Stattdessen habe ich gel­ernt, method­isch und didak­tisch zu arbeit­en und später habe ich dann im Ober­stufengym­na­si­um unter­richtet. Aber ich kon­nte es ein­fach nicht, ich habe ständig alle Unwäg­barkeit­en antizip­iert. All das hat mich krank wer­den lassen, und ich habe mich auf den Weg gemacht, ohne zu wis­sen, wie es weit­erge­ht. Ich bin mit Fre­un­den nach Ital­ien gefahren, und wir haben in Griz­zana eine Malschule ins Leben gerufen. Da brach plöt­zlich ganz vieles auf in mir und meine Bilder wur­den anders. Plöt­zlich wusste ich, dass ich freier Künstler wer­den will.

Du hast deine sichere Zukun­ft als Kun­sterzieher aufgegeben für ein freies Künstlertum. Eine große, eine mutige Entschei­dung. Hat­test du keine Angst?
Rosen­boom: Das war wieder ein Bruch. Ich habe ein vorausse­hbares, sehr struk­turi­ertes Dasein aufgegeben, und ich habe tat­säch­lich geträumt, wie eine ebene, geteerte Straße, die ich ent­lang fahre, plöt­zlich uneben wird und kleine Risse bekommt, durch die das Gras wächst. Es war alles ein wahnsin­niges Risiko, und ich habe mich dabei bei Weit­em nicht als Künstler gefühlt. Es hat nur zunehmend mehr Spaß in meinem Leben gemacht. Aus diesen Brüchen entste­ht ja auch Neues, Kreatives, Chao­tis­ches. Malen und Zeich­nen eben. Und man ver­sucht, bes­timmte For­men und Far­ben zu ord­nen, eine Gram­matik zu find­en. Ich hab ja nie richtig malen und zeich­nen gel­ernt. Ich habe mir die notwendi­gen grundle­gen­den Dinge alle selb­st beige­bracht, die Kom­po­si­tionsver­hält­nisse, die Per­spek­tiv­en. Ich habe Fre­unde gefragt, ich habe in Büchern nachge­le­sen, ich habe immer wieder das Licht studiert. Meine Skizzen ent­standen überall. Meine Reisen waren bei dieser Entwick­lung sehr wichtig.


Hast du denn Bilder im Kopf, sind sie bei dir?
Rosen­boom: Ich habe Unmen­gen von Skizzenbüchern mit Tausenden von Zeich­nun­gen darin. Davon gehe ich aus, wenn ich im Ate­lier male. Ich habe keinen nat­u­ral­is­tis­chen Ansatz. Ich habe nie ver­standen, weshalb man eine Rose nach­malen will. Eine Rose ist so schön, die kann man nicht schön­er malen. Aus der Natur kom­men meine Impulse, sie üben einen sinnlichen Reiz auf mich aus. Zum Beispiel kön­nte ich kein Bild von Flüchtlingen malen. Dann würde ich anfan­gen zu erzählen, vielle­icht würde ich ankla­gen und ich weiß, das geht nicht. Ich hat­te früher andere Bilder im Kopf, damals, als ich meinem Weg noch gesucht habe, aber die male ich nicht mehr. Da hat es gedampft, da ist es explodiert. Das waren sur­reale, düstere Bilder. Heute weiß ich: Man muss sich nur immer ein­lassen auf neue Sichtweisen und wis­sen, dass man auch scheit­ern kann.

Du bist immer viel gereist, hast all die Motive in deinen Skizzen- Büchern mit nach Hause gebracht. Kann man sagen, dass diese Skizzen Dein malerisches Gedächt­nis sind? Zeit, die ver­flossen ist, wird so wieder wachgerufen?
Rosen­boom: Die Skizzen helfen mir, mich an Orte, Per­so­n­en, Begeben­heit­en und an Objek­te zu erin­nern. Sie sind so etwas wie Tage­buch-Blät­ter. Sie sind auch nach langer Zeit immer noch ein Fun­dus, um daraus Neues zu entwick­eln. Sie sind über ein län­geres Betra­cht­en, Ver­tiefen und Vere­in­fachen ent­standen. Meis­tens in einem med­i­ta­tiv­en Modus, manch­mal flüchtig. Diese Reduk­tion – bere­its vor dem Motiv – erle­ichtert mir den Ein­stieg in den Vor­gang der künstlerischen Umfor­mung. Diese «skizzieren­den» Reisen in all den Jahren, in viele Län­der und ver­schiedene Kul­turen find­en sich in meinen Zeichenbüchern wieder. Sie sind, wenn man so will, auch ein malerisches Gedächtnis.

Freis­chaf­fend­er Künstler zu sein ist ein Leben im Risiko, die wenig­sten haben ein durch­schnit­tlich­es Einkom­men. Lebt es sich mit Kun­st schlecht?
Rosen­boom: Die finanzielle Seite ist eine ungute Begleitung meines Lebens, es wäre schön­er, wenn man so etwas hätte wie eine Grun­drente. Aber jet­zt, zu Coro­na-Zeit­en, merken die Men­schen schon, dass die Kul­tur fehlt, wenn sie nicht da ist. Das sollte man generell in nor­malen Zeit­en mehr hon­ori­eren. Um ehrlich zu sein, manch­mal denke ich schon, ich hätte es gern etwas beque­mer im Leben und zuweilen bin ich schon trau­rig darüber, dass man als Künstler nicht so anerkan­nt ist. Aber ich sehe auch einige wenige Men­schen, für die ist es wichtig, dass es mich gibt. Die mehr als eine Hand­voll Bilder von mir haben. Darüber freue mich. Und über kul­turell denk­ende und fühlende Menschen.

Deine Werke wer­den immer wieder für ihren bril­lanten Ein­satz von Licht gelobt. Wie kommt das Licht in deine Bilder?
Rosen­boom: Das wäre vielle­icht ein­fach so zu beant­worten: Der Schat­ten entste­ht, weil es das Licht gibt. Wenn eine Lichtquelle einen Gegen­stand beleuchtet und ihn zur Erschei­n­ung bringt, werde ich auf ihn und seine Umge­bung aufmerk­sam. Gehe ich beispiel­sweise durch eine Land­schaft, wird meine Aufmerk­samkeit eben­falls auf diesen Sachver­halt gelenkt. Ich skizziere oder fotografiere diese Phänomene. Hel­ligkeit, Dunkel­heit und Far­ben erscheinen unter­schiedlich inten­siv. Beim Malen ver­suche ich dann den Ein­druck nachzuempfind­en. In mehreren übereinander gelegten Farb­schicht­en wach­sen far­bige Lichter und far­bige Schat­ten. Diese Lichter und Schat­ten sind nicht schwarz oder weiß, vielmehr sind sie hell- und dunkelfarbig.

Du find­est also deine Motive überwiegend in der Land­schaft?
Rosen­boom: Meine Motive finde ich in den ver­schieden­sten Wel­ten, in der Natur, der Land­schaft. Das kann aber auch der Gesang eines Vogels sein, ein beson­der­er Geruch, eine beson­dere Farbe, beson­dere Lichtver­hält­nisse. All das sind Ele­mente, die mich rein zufäl­lig zu einem The­ma brin­gen, das ich dann ver­tiefe. Manch­mal sind es auch Straßen und Städte oder die Interieurs mit ihren Senkrecht­en und Waa­grecht­en und ihrem Spiel mit dem Licht. Die Welt ist voller Motive.

Inwieweit kann Poe­sie, ein Gedicht, welch­es dich berührt beim Lesen, deine Malerei bee­in­flussen? Gibt es da Querverbindun­gen zwis­chen bei­den Künsten? Kann die Schön­heit der Sprache, eine einzelne leuch­t­ende Zeile, zur Initialzündung wer­den: vielle­icht die Lyrik von Inge­borg Bach­mann oder eine Stro­phe von Hilde Domin?
Rosen­boom: In Gedicht­en, die auf­grund der beson­deren Wahl und Kom­po­si­tion der Worte vielschichtige Assozi­a­tio­nen freiset­zen, sehe ich Ähn­lichkeit­en zu Möglichkeit­en der­ar­tiger Malerei, die mir Freiräume bietet, eigene Gedanken und unter­schiedliche Gefühlsqualitäten zu erzeu­gen. Diese wer­den von jedem Men­schen anders wahrgenom­men, brin­gen ver­schiedene Klänge und Far­ben, Anmu­tun­gen und Atmo­sphäre her­vor, wie auch in der Musik. Lyrik und Malerei schaf­fen emo­tionale Empfind­ungsräume jen­seits des deter­minierten Sprachge­brauchs und Sehens. Sie ver­mö­gen Typ­isierun­gen und starre For­men zu überwinden und ermöglichen, Gren­zen der gewohn­ten Wahrnehmung zu überschreiten.

Und kannst du Künstlernamen nen­nen, die dir Vor­bild sind?
Rosen­boom: Eine ganz schwierige Frage. Wir haben ja alle Vor­bilder. Bilder, die vor uns ste­hen. Ich kön­nte so viele aufzählen. Aber ich möchte das so sagen: Ich habe immer diejeni­gen geschätzt, die ein­er gewis­sen Tra­di­tion verpflichtet sind, Cézanne, Picas­so … Sie haben das Licht der Erken­nt­nis weit­ergegeben. Tra­di­tion wird oft unter­schätzt. So als sei das Alte alt und nichts mehr wert.

Nun bist du ja in gewiss­er Weise auch ein alt­modis­ch­er Künstler, old­fash­ioned im pos­i­tiv­en Sinne. Du arbeitest zum Beispiel nicht mit Videos, nicht mit Instal­la­tio­nen. Wie erk­lärst du dir das?
Rosen­boom: Das wäre ein ander­er Weg. Für mich ist die tra­di­tionelle Zeich­nung und die Auseinan­der­set­zung mit der direk­ten Wahrnehmung in Form von Skizzen und Malerei auch sinnlich wesentlich näher. Vielle­icht ist das für mich auch eine poet­is­chere Herange­hensweise. Was natürlich in keinem Fall heißen soll, dass ich andere künstlerische Arbeits­for­men nicht schätze und bewun­dere. Für mich gab es nur keine Berührungen dazu. Ein Wort zum Schluss? Rosen­boom: Ich habe mein Leben ein­er wun­der­baren Tätigkeit gewid­met, die Welt dif­feren­ziert­er zu sehen, als ich es vorher konnte.

Das Inter­view führte Juliane Sattler-Iffert